• Home
  • Blog
  • “Tradition” fördert Mathefertigkeiten
Matheblog Bild

Matheblog

“Tradition” fördert Mathefertigkeiten

Ich bin stolzer Besitzer eines Iphone, arbeite mit einem Macbook, wiege die Zutaten beim Kochen und Backen mit einer Digitalwaage, stoppe die Zeit mit einer digitalen Stoppuhr, fahre Auto mit einem Navi und informiere mich über die das Wetter an meiner Wetterstation. Kurzum: Ich liebe technische Neuerungen. Die Präzision und Perfektion faszinieren mich und ich möchte mich am liebsten blind darauf verlassen können. Damals, als noch nicht alles so modern digital war, hantierte ich mit Landkarten, lernte wichtige Telefonnummern auswendig, arbeitete mit analogen, sprich mechanischen, Geräten. Das ging auch sehr gut. Mit den heutigen Hilfsmitteln geht es in erster Linie besser, leichter und schneller. – Wenn man begriffen hat, welches grundlegende Prinzip sich hinter der Technik verbirgt. Und genau an diesem Punkt kommen wir zum Fluch der neuen Technik.

Wiegen

Auf einer digitalen Waage sehen wir eine Fülle von Zeichen. Es lassen sich absolut präzise 127 Gramm Mehl abmessen (wenn wir uns mal nicht drüber unterhalten, wofür man so genau arbeiten muss…), aber ich bekomme kein Gefühl dafür, wie schnell ich mich beim Zuwiegen dem Ziel nähere. Dass 10 Gramm noch weit entfernt und 124 ganz nah an der 127 dran sind, weiß ich nur, wenn ich schon eine Vorstellung von Mengen und Größen habe. Wenn nicht, sind für mich mich die Striche auf dem digitalen Display eher chaotisch und ohne Sinn. Probieren Sie es: Lassen Sie ein Kind ohne ein entsprechendes Mengenverständnis 500 Gramm Mehl mit einer Digitalwaage abwiegen. Sie werden beobachten, dass es nicht ab 400 Gramm langsamer zuschüttet. Es wird eher schütten, bis zu viel auf der Waage liegt und erst dann stoppen. Nicht wissend, ob nun viel oder wenig wieder abgenommen werden muss. Ganz anders ist dieses, wenn eine analoge Küchenwaage benutzt wird. Hier ist ein klares Ziel zu erkennen, das erreicht werden soll. Die Kinder tasten sich immer langsam an das gewünschte Ziel heran, da sie sehen, dass sich der Zeiger je nach Schüttgeschwindigkeit schneller oder langsamen auf das Ziel hinzu bewegt.

Uhrzeit

Eine Digitaluhr ist für Menschen, die unsicher mit Zahlen umgehen leichter abzulesen. Klar, ich muss ja auch nur die Zahlen ablesen und kann als Uhrzeit 13 Uhr 57 sagen. Wenn ich weiß, dass es somit sehr kurz vor 14 Uhr ist, ist dieses prima. Dafür muss ich aber schon eine Vorstellung von Zeit und deren Darstellung auf der Uhr haben. Habe ich diese nicht, so muss ich einfach hinnehmen, dass es drei Minuten später „plötzlich“ 14 Uhr ist. Auf der klassischen Analoguhr sehe ich allerdings, wie sich die Zeiger im Kreis bewegen. Der Sekundenzeiger schnell, der Minutenzeiger langsamer und der Stundenzeiger am langsamsten. Und wenn der Minutenzeiger auf der 6 steht, dann ist schon die Hälfte der Stunde herum. Ich kann so sehen, wie die Zeit vergeht und bekomme ein Gefühl für die Aufteilung einer Stunde und den Relationen von vergangener und noch kommender Zeit einer Aktivität oder Wartezeit. Das ist eine Basiskompetenz, um die Uhrzeit verstehen zu können, auch wenn für viele der Umgang mit der analogen Uhr zunächst ein großes Problem darstellt.

Mobilität

Bahnfahren ist einfacher geworden. Ich muss gar keinen Fahrplan mehr ansehen, sondern kann im Internet oder direkt mit meinem Handy erfahren, wie ich mein Ziel zu welcher Zeit und welchem Preis erreichen kann. Meist habe ich sogar Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Verbindungsmöglichkeiten. Das ist super praktisch, aber schult leider in keiner Weise Basiskompetenzen für ganz viele Bereiche. Die komplexen Überlegungen: Wo will ich hin? Welche Haltestelle ist in der Nähe? Welche Bahnlinien fahren dorthin? Kann ich direkt von meiner Einstiegsstation aus hin fahren oder muss ich umsteigen? Welche Umstiegsmöglichkeiten gibt es? Wie viel Zeit muss ich einplanen? Welche Bahn muss ich nehmen, um pünktlich anzukommen? …..

Temperatur

Wie stelle ich fest, ob es morgens warm genug ist, für leichte Kleidung? Ich tue dies durch einen Blick auf das Thermometer oder ich schaue die Wettervorhersage in der Zeitung an. Ein digitales Thermometer zeigt mir die exakte Temperatur an und hilft mir so. Hängt allerdings draußen ein Thermometer, bei dem durch eine Flüssigkeitssäule die Temperatur angezeigt wird, so kann ich noch viel mehr erkennen. Ich bekomme zunächst einmal ein Gefühl dafür, wie schnell oder langsam sich Temperaturen verändern. Sehe aber zum Beispiel auch, dass “unter der Null nicht das Ende kommt”, sondern Minuszahlen auftauchen. Ein Grundschulkind beginnt durch den Umgang mit einem solchen Thermometer ganz nebenbei die negativen Zahlen zu erforschen, obwohl dieses in den schulischen Lehrplänen noch lange nicht vorgesehen ist.

Sie merken: Der neue digitale und in Vielem einfachere Weg ist ein Segen, behindert aber Lernende auf dem Weg zum Verständnis. Dabei ist unser analoges Umfeld ein unglaublich komplexes und spanendes Trainingslager. Über die Beschäftigung mit dem Wiegen, einer Uhr, dem Bahnfahren, Zollstöcken, Thermometern, Einkäufen etc. reifen in uns Menschen die Fertigkeiten, die wir auch für das Verständnis der Mathematik dringend brauchen. Bei den obigen Beispielen erfahre ich ganz viel über Mengen, Größen, Muster, Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Ursache-Wirkung, Teile und Ganze, strategisches Lösungsdenken, Orientierung in Raum und Zeit und vieles, vieles mehr. Und wofür das Ganze? Zum Beispiel, um sicherer in der Mathematik zu werden oder schon bevor ein Thema in der Schule angesprochen wird super vorbereitet zu sein. Und der Knüller: Unser Kopf lernt, indem er all diese Erlebnisse analysiert und daraus resultierende Regeln selbst erfindet. Lernen im Vorbeigehen, im Prinzip!

Ich werde natürlich auch zukünftig nicht auf meine technischen Lieblinge verzichten. Aber für das Verstehen der Mathematik empfehle ich erst einmal den massiven Einsatz „traditioneller Werkzeuge“.

Tags: Mathefertigkeiten, Technik, Alltag

Kontakt

Bitte tragen Sie Ihren Namen ein.
Bitte tragen Sie Ihre E-Mail-Adresse ein.
Bitte tragen Sie Ihre Nachricht ein.
Bitte geben Sie Ihr Einverständnis, damit wir uns umgehend um Ihr Anliegen kümmern können.
Ihre Eingabe war inkorrekt.

Unsere Adresse

Rechentherapiezentrum Köln
Amsterdamer Str. 72
(gegenüber Kinderkrankenhaus)
50735 Köln
Tel.: 0221 – 76 88 67
whatsapp: +49 1573 0981133

Folgen Sie uns